- Das Hausmodell von Perachora -

Der Fund des Hausmodelles von Perachora
1940 wurden die Funde aus dem Heiligtum der Hera Akraia bei Perachora durch H. Payne veröffentlicht, darunter ein Tonmodell eines kleinen Gebäudes aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. Dem 1933 gefundenen Hausmodell "A" fehlt heute das gesamte Dach. Die Rekonstruktionszeichnung von H. Megaw sowie ein danach gefertigtes Modell ergänzten das Dach mit einer großen offenen Giebelfront, die die Giebelfelder klassischer Tempel vorausahnen lässt. Nichts hat seitdem das Bild früher griechischer Architektur des 8. Jahrhunderts v. Chr. so geprägt wie diese Zeichnung. Schon damals wurde durch H. Bagenal und D. Robertson versucht, von diesem Modell auf die real gebaute Architektur rückzuschließen.

Das Modell misst ca. 35 cm in der Länge und ist knapp 17 cm breit.
Das Original befindet sich heute im Nationalmuseum
in Athen, Inv. Nr. 16684.
Die Umsetzung in "große Architektur"
Die Übertragung der Vorstellungen von H. Payne, P.Megaw und H. Bagenal in ein fiktives "echtes" Gebäude zeigt, wie die große offene Giebelfläche der Ergänzung die Oberseiten von Stirnwand und dem freischwebenden Architravbalken über den Frontsäulen allen Witterungseinflüssen gegenüber ungeschützt lässt.

Videorekonstruktion
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Die virtuellen Bauten auf dieser Seite sind in gewisser Weise vereinfacht. Sie geben deshalb das tatsächliche Bild dieser frühen griechischen Tempelbauten, die gewiss verziert und reich bemalt waren, nur bedingt wieder. Ebenso fehlen alle Feinheiten der Zimmermannsarbeiten, die zwar, weil konstruktiv notwendig, sicher vorhanden waren, über die sich aber keine genauere Vorstellung gewinnen lässt.
Das Gebäude "H" in Eretria
Der Befund
1970 ist bei Ausgrabungen in Eretria mit dem Gebäude "H" das fast vollständige Fundament eines nahezu gleichartigen Hauses oder Tempels gefunden worden. Wie deckungsgleich die Grundrisse sind, wird deutlich wenn man beide übereinanderlegt: nur in der Bauart der beiden Frontsäulen bestehen kleinere Abweichungen. Da in Eretria wegen der Stellung der Frontsäulen eine Vorhalle mit getrennter Bedachung zwingend angenommen werden muss, erscheint es notwendig, die auch Rekonstruktion des Hausmodelles neu zu überdenken. Beide Gebäude – Eretria und Perachora – bestehen aus zwei Baukörpern: dem eigentlichen Hauptraum, der mit seinem halbrunden Abschluss den aus weiteren Modellen wie originalen Grundrissen bekannten geometrischen und früharchaischen Firstständerbauten mit apsidalem Grundriss gleicht, und einer Vorhalle mit angeschlepptem Dach.
Ein von P. Auberson 1974 vorgestelltes Modell, das den Oberbau des Gebäudes "H" in Eretria ergänzt, ist für das Bild früher griechischer Gebäude nicht minder prägend als die immer wieder reproduzierte Zeichnung des Hausmodelles von Perachora.
Die Rekonstruktion des Gebäudes in Eretria
Das Aussehen des Vordaches
Es ist, wie von Auberson vorgeschlagen, vor allem an ein Pultdach über der Vorhalle zu denken. Ein solches Vordach kann entweder an die senkrechte Stirnwand angeschleppt sein oder es wird zudem mit dem Hauptdach verwalmt. Entscheidend ist dabei die Traufhöhe der Fronthalle, da bei gleicher Höhe ein Pultdach nicht in die sich verengende Giebelwand eingesetzt werden kann. Dies hat beim Modell von Auberson zu einer Lösung mit ausgestellten Dachüberständen und einer ganz geringen Dachneigung des Pultdaches geführt, wie sie eigentlich bei Stroh- und Holzdeckungen nicht üblich ist. Schlüssiger wäre es, das Pultdach bei gleichbleibender Traufhöhe mit dem Hauptdach zu verwalmen. In Verbindung mit einer giebelseitigen Dachöffnung bleibt das Kalksteinmodell eines Ovalhauses aus Samos eines der wenigen Vergleichsbeispiele; auch dort sind die einzelnen Dachflächen bei gleichbleibender Traufhöhe miteinander verwalmt.
Die Umsetzung ins Modell
Statt der dort vorgeschlagenen Flechtmatten sind Wände aus Lehmziegeln, Stampflehm oder mit lehmverputztem Flechtwerk wahrscheinlicher. Die im Steinsockel erhaltenen kurzen Anten müssen im aufgehenden Mauerwerk fortgesetzt werden und sind als Dachauflage wichtig. Vor allem sollte der im Modell oben offene Dachstuhl durch durch eine Bauweise mit durchgehendem Firstbalken ersetzt werden,wie sie auch sonst belegt ist. Die beiden dicht beieinander stehenden Firstständer im Zentrum der Apsis stellen bei einer solchen Bauweise eine genügend große Auflagefläche für das Ende des Firstbalken und die dort zusammenlaufenden 5 Sparren der Apsis bereit.
Die Rekonstruktion des Hausmodelles aus Perachora
T. Schattner hat 1990 eine Ergänzung des Hausmodelles von Perachoramit einem gerade vorspringenden Flachdach vorgeschlagen, eine Lösung, die an ein Hausmodell aus Argos erinnert. Allerdings erscheint ein Anbindung einer flach vorspringenden Tonplatte an die Eingangswand im Modell kaum möglich, da die Oberkante dort vollständig erhalten ist und nirgends eine Bruchkante aufweist. Dass, wie vermutet, auf Breite des Modells eine solche Tonplatte spurlos abbrechen könnte, ist aber wenig wahrscheinlich, zumal sonst an dem aus feuchtem Ton aufgebauten Modell Nähte und Trennfugen sauber in einem knappen Bogen verstrichen sind. Die Höhe der Eingangswand überragt zudem die angenommen Ansatzstelle um ein kurzes Stück. Der Töpfer der das Hausmodell gefertigt hatte, hat versucht, ein verkleinertes Abbild eines tatsächlichen – wenn auch keines bestimmten – Gebäudes wiederzugeben. Die Ähnlichkeit der Grundrisse des Gebäudes in Eretria und des Hausmodelles belegt ein großes Maß an Treu und Genauigkeit bei der Übetragung ins Modell. Eine Umsetzung der von Schattner vorgeschlagenen Dachkonstruktion mit steilem wasserabführenden Reetdach und schlecht ableitenden Flachdach in "große Architektur" erscheint aber widersprüchlich und schwierig. Regenwasser wurde entweder in Gebäudeinnere geleitet oder eine dort hochgeführte Stirnwand sowie den Dachansatz durchfeuchten.
Ein Walmdach für Perachora
Eine Ergänzung des Hausmodelles von Perachora muss wegen der Ähnlichkeit ihres Grundrisses immer auch mit der
Ergänzung des Gebäudes in Eretria vereinbar und übertragbar sein. Wenn für Eretria ein Pultdach – ob offen oder
verwalmt angenommen werden muss –, so muss dies auch für das Hausmodell in Perachora angenommen werden. Ein
Walmdach ist in Ton ohne Schwierigkeiten anzutöpfern, während ein offenes Pultdach weniger wahrscheinlich scheint. Bei
der Umsetzung in gebaute Architektur wird deutlich, dass jetzt sowohl die geforderten steilen Dachschrägen für Stroh-
oder Reetdächer erreicht werden und dass ein Wetterschutz des Eingangbereiches gewährleistet ist.
Eine Bemerkung zum Schluss:
Mit diesen Seiten sollte auch versucht werden, wissenschaftliche Überlegungen mit den Möglichkeiten des 3D-Modelling
wie der computergestützten Animation nachvollziehbar zu machen. Für weitere Anregungen und Beiträge sowohl zur
Konstruktion der Gebäude und Modelle wie zum Weg der Präsentation sind wir dankbar.
Literatur
H. Payne, Perachora I, (1940) 34ff.
P. Auberson, AntK 17, 1974, 60ff.
T. Schattner, Griechische Hausmodelle (1990)
M. Boss, NBZ 10, 1993/94, 61ff.
Martin Boss, den 8. September 1997